Menschliches Genom mit dem von anderen Säugetieren verglichen
Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Peter Stadler vom Interdisziplinären Zentrum für Bioinformatik der Universität Leipzig haben Arendt und sein Team in einem ersten Schritt die Aktivität der Gene von Alzheimer-Patienten mit denen von gesunden Menschen verglichen. Hier stießen sie auf ein Muster: Bei Alzheimer-Erkrankten waren bestimmte Gene anders aktiv als bei Gesunden. Die evolutionäre Entwicklung dieser Gene verfolgten sie dann zurück und verglichen sie mit dem Genom von nicht-menschlichen Primaten und anderen. „Die Genabschnitte der meisten Säugetiere sind heute bekannt und sequenziert. Sie sind in großen Datenbanken gespeichert und so konnten wir nachvollziehen, welche Veränderungen diese Gene in der Evolution durchlaufen haben“, erklärt Prof. Dr. Thomas Arendt.
Betroffene Hirnstrukturen und Gene erst in der jüngeren Menschheitsentwicklung verändert
So konnten die Forscher zeigen, dass jüngste evolutionäre Anpassungen des Gehirns ursächlich an der Entstehung der Erkrankung beteiligt sind. Sie befällt vorrangig solche Hirnstrukturen, die sich in der jüngeren Menschheitsentwicklung hin zum Homo Sapiens erst spät herausgebildet haben. Zugleich waren die Gene, deren Aktivität bei der Erkrankung verändert sind, in der jüngeren stammesgeschichtlichen Vergangenheit evolutionsbiologischen Anpassungen unterworfen. „Die Gründe dieser Veränderungen bei der Entwicklung von den großen Menschenaffen hin zum Menschen sind Folge von Anpassungen, wodurch die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns optimiert wurde“, so Arendt.
Großteil der Tierversuche in hohem Grade ungeeignet
Damit konnte Arendt das schon länger von ihm verfolgte Konzept wissenschaftlich belegen: Die Alzheimersche Erkrankung ist eine phylogenetische, also eine stammesgeschichtliche, Erkrankung. Zugleich wird deutlich, dass Alzheimer eine human-spezifische Erkrankung ist, deren Mechanismus sich nur sehr begrenzt im Tierexperiment nachbilden lässt. „Diese Einsicht dürfte von weitreichender Konsequenz für die zukünftige Therapieentwicklung sein. Ein Großteil der Tierversuche, die fast ausschließlich an Mäusen erfolgt, ist in hohem Grade ungeeignet, da sich deren Genstruktur deutlich vom Menschen unterscheidet“, sagt Prof. Arendt. Lediglich bestimmte Teilaspekte der Erkrankung könnten weiterhin im Tiermodell überprüft werden. Zukünftige Therapieentwicklungen müssten sich nun verstärkt auf die genomischen Abschnitte und Zellbestandteile konzentrieren, die sich in der jüngeren stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen herausgebildet haben.
Jahrzehntelange Expertise auf dem Gebiet der Alzheimer-Forschung
Thomas Arendt erforscht seit 40 Jahren die Alzheimersche Erkrankung. In den frühen 1980er Jahren war er an der Entdeckung beteiligt, die die Grundlage für die bis heute einzig mögliche Behandlung schuf: Die Forscher beobachteten, dass Neuronen im Gehirn von Alzheimer-Patienten absterben, die den Botenstoff Acetylcholin zur Übertragung von Signalen verwenden. Der Botenstoff wird nicht mehr gebildet, die Informationsübertragung funktioniert nicht mehr. Ein spezielles Medikament kann diesen Prozess zumindest verlangsamen. Im Dezember 2018 konnte die Universität Leipzig die Exklusivlizenz für einen von Prof. Dr. Thomas Arendt entwickelten Bluttest für die Frühdiagnose der Alzheimerschen Erkrankung an eine Biotechnologie-Firma in die USA vergeben.
Originalveröffentlichung in „Molecular Psychiatry“:
"Alzheimer-related genes show accelerated evolution" DOI: https://doi.org/10.1038/s41380-020-0680-1