Infektionskrankheiten stellen weltweit eine der häufigsten Todesursachen dar. Nachdem sie in den Industrieländern als weitgehend besiegt galten, nimmt die von ihnen ausgehende Gefahr seit einigen Jahren weltweit wieder zu. Insbesondere angesichts der vermehrten Resistenzentwicklung von Krankheitserregern gegenüber etablierten antiinfektiven Wirkstoffen besteht ein enormer Bedarf an neuen, effizienten und wirkungsvollen Antiinfektiva. Die Entwicklung von innovativen Antiinfektiva ist daher für die Gesundheitsversorgung der Zukunft von essentieller Bedeutung.
Die Entwicklung neuer Antiinfektiva und die Bekämpfung von Resistenzen werden bereits im nationalen und internationalen Kontext adressiert, so z. B. im globalen Aktionsplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Bekämpfung von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) und in der Deutschen Antibiotika Resistenz-Strategie (DART 2020). Im Jahr 2015 wurde unter deutschem G7-Vorsitz die "Berliner Erklärung zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen" verabschiedet. Sein Engagement für Globale Gesundheit setzte Deutschland bei der G20-Präsidentschaft im Jahr 2017 fort und konnte zusammen mit den G20-Partnern wichtige Impulse setzen, um den Kampf gegen Gesundheitskrisen und die globale Bedrohung durch antimikrobielle Resistenzen weiter voranzutreiben. Als ein wichtiges Ergebnis wird derzeit unter deutscher Federführung der Global AMR R&D Hub aufgebaut, der zu einer besseren Koordinierung der weltweiten Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) zu AMR führen soll. Die WHO betonte im Februar 2017 die Dringlichkeit der Entwicklung neuer Antibiotika und veröffentlichte eine priorisierte Liste mit Erregern, für die derzeit der höchste FuE-Bedarf besteht.
Die vorliegende Förderrichtlinie "Wirkstoffentwicklung auf Basis von Naturstoffen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten" greift die genannten Empfehlungen auf. Sie ist eingebettet in die Hightech-Strategie und das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung. Gleichzeitig ist die vorliegende Förderrichtlinie eine zentrale Fördermaßnahme im Rahmen der Nationalen Wirkstoffinitiative der Bundesregierung, welche das Ziel hat, die Wirkstoffforschung insbesondere im Bereich der Infektionskrankheiten zu stärken und die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern.
1.1 Förderziel und Zuwendungszweck
Seit einigen Jahren erlangen die übertragbaren Krankheiten weltweit wieder eine größere Bedeutung, vor allem durch die zunehmende Verbreitung von Krankheitserregern, die gegen einen oder mehrere Wirkstoffe resistent geworden sind. Als besonders besorgniserregende Beispiele sind hier Infektionen durch multiresistente Tuberkulosebakterien und gramnegative Bakterien mit Extended Spectrum β-Lactamasen bzw. Carbapenemasen zu nennen. Auch die Ausbreitung von HIV und HCV mit Resistenzen gegenüber antiviralen Substanzen nimmt zu. Resistenzen von Malaria-Erregern gegenüber gängigen Arzneimitteln werden in Malaria-Endemiegebieten oder bei Reisenden ebenfalls immer häufiger beobachtet. Neben dem rationalen Einsatz von Antiinfektiva ist daher die Entwicklung innovativer Arzneimittel mit strukturell neuartigen Wirkstoffen essentiell, um die Behandlungsmöglichkeiten für Infektionskrankheiten aufrechtzuerhalten oder sogar zu erweitern.
Verschiedene Statistiken zeigen, dass ein Viertel bis ein Drittel aller in den letzten Jahrzehnten zugelassenen Medikamente auf Naturstoffen basieren bzw. von ihnen abgeleitet sind, bei den Antibiotika sind es deutlich über die Hälfte. Naturstoffe werden aus unterschiedlichen Pflanzen, Pilzen, Tieren oder Mikroorganismen gewonnen und werden seit Jahrtausenden vom Menschen zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt. Viele der oft als Sekundärmetabolite produzierten Naturstoffe dienen den sie produzierenden Organismen zum Schutz vor Infektionen durch Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten. Damit sind sie eine hervorragende Ausgangsbasis für die Entwicklung potenter Antiinfektiva. Naturstoffe weisen eine enorme Wirksamkeit und strukturelle Diversität auf, da sie in Jahrmillionen für ihre jeweiligen Zielstrukturen evolutiv entwickelt und optimiert wurden. Dies stellt einen Vorteil der Naturstoffe gegenüber synthetisch hergestellten Molekülen dar. Dennoch wurde das Potenzial der bereits evolutiv optimierten Naturstoffe jahrelang vernachlässigt. Nur ein Bruchteil der bekannten Naturstoffe wurde bisher auf ihren möglichen Nutzen für die Wirkstoffentwicklung untersucht. Daher ergeben sich hier vielversprechende Möglichkeiten, die Behandlung von Infektionskrankheiten zu erweitern und besonders resistente Keime wirksam zu bekämpfen.
Mit der vorliegenden Richtlinie beabsichtigt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) daher, die Naturstoff-basierte Entwicklung neuartiger, anti-infektiver Wirkstoffe für die Humanmedizin zu stärken und somit Fortschritte bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu erzielen.
1.2 Rechtsgrundlagen
Der Bund gewährt die Zuwendungen nach Maßgabe dieser Richtlinie, der §§ 23 und 44 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) und den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften sowie der "Richtlinien für Zuwendungsanträge auf Ausgabenbasis (AZA)" und/oder der "Richtlinien für Zuwendungsanträge auf Kostenbasis (AZK)" des BMBF. Ein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Zuwendung besteht nicht. Die Bewilligungsbehörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.
Nach dieser Förderrichtlinie werden staatliche Beihilfen auf der Grundlage von Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe b bis d der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der EU-Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ("Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung" – AGVO, ABl. L 187 vom 26.6.2014, S. 1 in der Fassung der Verordnung (EU) 2017/1084 vom 14. Juni 2017 (ABl. L 156 vom 20.6.2017, S. 1) gewährt. Die Förderung erfolgt unter Beachtung der in Kapitel 1 der AGVO festgelegten Gemeinsamen Bestimmungen, insbesondere unter Berücksichtigung der in Artikel 2 der Verordnung aufgeführten Begriffsbestimmungen (vgl. hierzu die Anlage zu beihilferechtlichen Vorgaben für die Förderrichtlinie).
2 Gegenstand der Förderung
Gegenstand der Förderung sind Verbundvorhaben zur Entwicklung von innovativen Naturstoff-basierten Wirkstoffen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, für die eine Verbesserung der medizinischen Versorgung dringend notwendig ist. Diese sollen vorzugsweise auf anderen Wirkmechanismen beruhen als die derzeit verfügbaren Antiinfektiva. Die Vorhaben sollen einen hohen medizinischen Bedarf für neuartige antiinfektive bzw. resistenzbrechende Wirkstoffe adressieren, wie z. B. die Entwicklung von Antibiotika gegen relevante multiresistente gram-negative Erreger. Eine Orientierung, welche Erreger derzeit von höchster Relevanz sind, gibt die WHO (siehe auch http://www.who.int/medicines/publications/global-priority-list-antibiotic-resistant-bacteria/en/).
Darüber hinaus besteht jedoch auch ein hoher Bedarf für neue Wirkstoffe beispielsweise gegen multiresistente Tuberkulosebakterien, Clostridium difficile und viele weitere, nicht ausschließlich bakterielle Erreger.
Unter Naturstoffen als Ausgangsbasis für die Wirkstoffentwicklung werden Moleküle verstanden, die ursprünglich aus Organismen isoliert wurden. Diese sollen in unveränderter oder veränderter Form als Therapeutikum entwickelt werden. Hierbei ist es unerheblich, ob das Molekül in der verwendeten Form nach wie vor aus natürlichen Quellen gewonnen oder synthetisch bzw. semisynthetisch hergestellt wird, wichtig ist lediglich die ursprüngliche Herkunft. Die Entwicklung von Biopharmazeutika wie Antikörpern oder Impfstoffen, sowie von Wirkstoffen auf Basis von Nukleinsäuren ist nicht Gegenstand der Förderung. Der Naturstoff, aus dem der Wirkstoff entwickelt werden soll, muss bei Skizzeneinreichung bereits bekannt sein.
Es werden Verbundvorhaben gefördert, die einen oder mehrere der folgenden Schritte der Wertschöpfungskette zur Wirkstoffentwicklung abdecken:
Die klinische Relevanz sowie konkrete Pläne für den Transfer der Vorhabenergebnisse in die weitere pharmazeutische Entwicklung und Anwendung müssen überzeugend dargelegt werden. Vorhaben, in denen die untersuchten Wirkstoffkandidaten neue Wirkmechanismen verwenden bzw. neue Targets im infektiösen Erreger angreifen, werden bevorzugt. Es sollen insbesondere Vorhaben mit hohen Hürden in der Translation, z. B. aufgrund von für die Naturstoffmedizin einzigartigen methodischen Herausforderungen sowie technologiebedingten hohen Entwicklungsrisiken gefördert werden.
Die Entwicklung von Naturstoff-basierten Antiinfektiva mit nur leicht verändertem Wirkmechanismus gegenüber existierenden Therapeutika sowie die Auffindung neuer Naturstoffe als Wirkstoffkandidaten sind von der Förderung explizit ausgeschlossen.
Die Verbundpartner sollen sich an den Empfehlungen zur guten wissenschaftlichen Praxis der DFG orientieren, die das BMBF seit dem Jahr 2002 übernommen hat http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_1310.pdf. Die Zusammenarbeit mit industriellen Partnern ist erwünscht. In jedem Fall ist die Orientierung an industriellen FuE-Standards ausdrücklich erwünscht, um die spätere Translation der Wirkstoffkandidaten in die weitere pharmazeutische Entwicklung und Anwendung zu ermöglichen. Entsprechende Beratungsleistungen zur Einhaltung von industriellen Standards sind zuwendungsfähig. Zudem sind regulatorische Anforderungen ausdrücklich zu berücksichtigen, z. B. durch die aktive Zusammenarbeit mit Zulassungsbehörden; entsprechende Arbeiten sind zuwendungsfähig. Hierzu sollen in den Arbeitsplänen Ressourcen vorgehalten werden. Zum Austausch und zur Vernetzung der geförderten Vorhaben ist zudem ein Statustreffen im Rahmen dieser BMBF-Maßnahme geplant, für das Ressourcen vorgehalten werden sollen. [...]
Quelle: Bekanntmachung des BMBF vom 02. Februar 2018; Bundesanzeiger vom 02. März 2018
Die vollständige Bekanntmachung finden Sie unter www.bmbf.de/foerderungen.