Delitzsch. Noch wuchern Holunder und Löwenzahn zwischen den alten Industriebaracken mitten in Delitzsch. Doch in Zukunft soll auf dem verwaisten Gelände der alten Zuckerfabrik ein Chemie-Forschungszentrum mit internationaler Ausstrahlung wachsen: Das „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC), das Bund und Länder mit mehr als einer Milliarde Euro hochziehen wollen. Für die Schaffung des Baurechts auf dem insgesamt 72 Hektar großen Gelände übergab Sachsens Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) am Mittwoch einen ersten Fördermittelbescheid über mehr als 228.000 Euro an Landrat Kai Emanuel (CDU) und den parteilosen Oberbürgermeister Manfred Wilde. „Dies ist der erste Schritt zur Entwicklung des Geländes“, sagte Emanuel. „Wir wollen hier so schnell wie möglich Forschung ermöglichen.“
Zwar gehört das verwilderte Gelände bisher noch einem privaten Leipziger Investor, der nicht genannt wird. Er wollte auf dem Gelände ursprünglich Wohnungen errichten und Platz für Eigenheime schaffen, hieß es. Vor dem Baubeginn muss nun der geplante Ankauf des Geländes noch über die Bühne gehen. Zu einem möglichen Kaufpreis für das Grundstück machen die Behörden indes keine Angaben – Verhandlungssache.
Trotz der offenen Eigentumsfrage laufen jetzt die konkreten Planungen für die hochkarätige Wissenschaftsansiedlung auf dem Areal an. Eine Handvoll Mitarbeiter des künftigen CTC ist bereits im benachbarten Landratsamt eingezogen, um die Pläne voranzutreiben. Anfang 2026 soll offiziell der Bau beginnen. Allerdings möchte der Zweckverband von Landkreis und Stadt bereits zuvor auf dem vorderen Bereich des Geländes, auf dem längst Baurecht herrscht, Flächen für die Forscher schaffen. Unter Umständen könnte ein Klinkerbau aus der Gründerzeit der Fabrik von 1890 saniert und neu hergerichtet werden.
Knapp 42 Hektar der ehemaligen Zuckerfabrik sind für das Großforschungszentrum reserviert. Auf weiteren Flächen könnten sich Konzerne, Startups und Dienstleister ansiedeln, die mit den Forschern kooperieren wollen. Die verbliebenen alten Ziegelgebäude und der riesige Kühlturm sollen zu attraktiven Immobilien umgebaut werden. Auch ein S-Bahnhof für einen direkten Bahnanschluss nach Leipzig und Halle soll entstehen. Viele zubetonierte und asphaltierte Flächen, auf denen früher Zuckerrüben und Schlacke gelagert wurden, sollen entsiegelt werden. Ob dabei noch Altlasten zutage treten können, ist umstritten.
Das CTC des Potsdamer Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung hatte sich im Wettbewerb „Wissen schafft Perspektiven für die Region“ durchgesetzt. Die Wissenschaftler um Gründungsdirektor Professor Peter Seeberger wollen eine neue Chemiewirtschaft entwickeln, die auf nachwachsende Rohstoffe und Recycling setzt und eine echte Kreislaufwirtschaft ermöglicht. Es geht um die Themen Gesundheit und Energie, Landwirtschaft und Konsumgüter. Am CTC sollen zukünftig bis zu 1000 Menschen arbeiten und forschen, davon rund 700 in Delitzsch und 300 in Sachsen-Anhalt. Gesetzt wird dabei auf Experten aus der ganzen Welt. Bis 2038 stehen rund 1,2 Milliarden Euro aus den Kohle-Strukturwandelgeldern für das hochmoderne Großforschungszentrum bereit. Es sei ein „Leuchtturmprojekt für ein globales Thema“, sagte Minister Schmidt. Zeitgleich entsteht in der Lausitz das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA) in ähnlicher Größenordnung.
Das Geld für die Bauleitplanung kommt aus dem neuen Förderprogramm „RegioPlan“. Damit unterstützt der Freistaat Kommunen bei der planerischen Vorbereitung von großflächigen Gewerbe- und Industriegebieten. Von 38 Anträgen wurden 29 bewilligt. Delitzsch erhielt nun symbolisch den ersten Bescheid aus dem Programm.