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3D-Scanner ermöglicht schonende Ohrrekonstruktion für Mikrotie-Patienten

13.06.2021
Mikrotie-Patienten leiden unter fehlgebildeten oder fehlenden Ohren. Mithilfe der Artec-3D-Scantechnologie können nun innerhalb weniger Sekunden detailgetreue Scans erstellt werden, die die Ohrrekonstruktion erheblich beschleunigen.

Bei der Behandlung von Mikrotie-Patienten wird meist das Verfahren der Ohrrekonstruktion mit Rippenknorpel angewendet. Dies ist ein kompliziertes Verfahren, das zwischen zwei bis vier Operationen erfordert. Bei diesem Eingriff wird ein Stück Rippenknorpel aus dem Brustkorb des Patienten herausgeschnitten und dann in die Form eines regulär entwickelten Ohrs modelliert. Anschließend wird das aus Knorpel geformte Ohr chirurgisch unter die eingeschnittene Haut des Schädels geschoben und vernäht. In diesem Prozedere finden Operationen normalerweise im Abstand von drei bis sechs Monaten statt und der Weg zu einem neuen Ohr zieht sich über mehr als ein Jahr hinweg.

Vor allem Kinder von OPs betroffen

Die Mehrzahl der sich in Behandlung befindenden Mikrotie-Patienten sind Kinder, die mehrere schmerzhafte Operationen überstehen müssen. Doch aufgrund des Knorpelverlustes leben sie oft mit einer dauerhaften Brustnarbe und möglicherweise einer Brustasymmetrie. Dabei müssen jüngere Kinder auf einen solchen Eingriff bis zu einem Alter von acht bis zehn Jahren warten, da ihre Knorpel für ein Ohr in Erwachsenengröße noch nicht ausgebildet sind.

 Implantat aus Polyethylen als alternatives Ohrgerüst

Die Schädel- und Gesichtschirurgin Dr. Sheryl Lewin aus Torrance, Kalifornien, war mit den Ergebnissen und insbesondere mit den einhergehenden Schmerzen sowie den Altersanforderungen dieser Technik nicht zufrieden. Daher machte sie sich auf die Suche nach anderen chirurgischen Optionen und stieß auf die Möglichkeit, ein synthetisches Material als alternatives Ohrgerüst zu verwenden. Das Zusammenfügen eines zweiteiligen Implantats aus porösem Polyethylen bot viele Vorteile für die Ohrrekonstruktion. Man kann bereits im Alter von vier Jahren mit dem Prozess beginnen, sie bringt weniger schmerzhafte ambulante Operation mit sich und das Aussehen des Ohrs wird in nur ein oder zwei Operationen verbessert.

 Einteiliges Implantat verringert das Bruchrisiko

Doch es gibt auch einen Nachteil. Da bei dieser Technik zwei Teile miteinander verbunden werden müssen, besteht für Patienten lebenslang ein echtes Risiko. Ein Bruch im Implantat macht einen weiteren chirurgischen Eingriff erforderlich und das defekte wird ausgetauscht. Um das Bruchrisiko zu minimieren, begann Lewin mit der Modellierung einteiliger Ohrimplantate aus hochdichtem, porösem Polyethylen: „Die Blutgefäße und das Gewebe des Körpers wachsen tatsächlich in diese kleinen Löcher des Materials hinein und sind etwa so dick wie ein Blatt Papier. Das Material hat sich nicht nur als medizinisch sicher erwiesen, sondern hält auch noch ein Leben lang.“ Die Chirurgin startete mit der chirurgischen Neugestaltung von der Basis des Ohrs an und erzielte so eine Symmetrie zum anderen, regulär entwickelten Ohr des Patienten. Da die Ergebnisse aber nicht perfekt symmetrisch waren, suchte sie nach weiteren Möglichkeiten und stieß auf eine Fallstudie über ein britisches Krankenhaus, das den tragbaren Farb-3D-Scanner Artec Spider von Artec 3D bei der Arbeit mit Mikrotie-Patienten einsetzt.

 3D-Scantechnologie beschleunigt Ohrrekonstruktion

Dr. Lewin handelte sofort und arrangierte eine Vorführung des 3D-Scanners vor Ort. „Beim Scanvorgang war ich von der Detailgenauigkeit und der schnellen Erfassung auf dem Bildschirm begeistert. In nur wenigen Sekunden nahm er die organischen Formen und Merkmale des Ohrs auf und Space Spider verwandelte es in einen naturgetreuen 3D-Scan. Besonders vorteilhaft ist, dass man ein kleines Kind für den Prozess nicht unter Narkose setzen muss. Denn genau das müssen Ärzte zur Aufnahme eines CT-Scans normalerweise, damit sich das Kind während des Scans nicht bewegt.“

Aus Scannerdaten wird ein individuelle Ohrimplantat

Nach dem Scan werden Anpassungen des Ohrdesigns mit Hilfe spezieller Software auf der Grundlage des Alters und der Anatomie des Kindes vorgenommen und optimiert. Von Artec Studio aus wird die STL-Datei ohne Verarbeitung des Scans direkt an Poriferous LLC geschickt. Die Implantatspezialisten mit Sitz in Georgia/USA wandeln den Scan in ein individuelles Ohrimplantat aus Su-Por um, der firmeneigenen Mischung aus porösem Polyethylen mit hoher Dichte. Zwei Wochen später wird das neue Ohrimplantat an Dr. Lewin geschickt. Zum Zeitpunkt der Operation formt die Chirurgin von Hand zusätzliche Details in das Ohr ein und zielt auf eine natürliche Genauigkeit ab. Sobald die anderen Teile der Präparation abgeschlossen sind, passt sie die Basis des Implantats so an, dass es bei der chirurgischen Platzierung symmetrisch zum gegenüberliegenden Ohr ist. Die Operation dauert acht bis zehn Stunden, anschließend kann der kleine Patient nach Hause.

Virtuelle Otoplastik für eine optimale Symmetrie

Einige Patienten haben ein nicht-mikrotisches Ohr, das stärker als das neu geschaffene Ohr absteht. Das kann einen ziemlichen Kontrast bilden. Die Standardlösung in der plastischen Chirurgie ist die so genannte „Otoplastik“, bei der das regulär entwickelte Ohr operativ „zurückgesetzt“ wird, damit es flacher am Kopf anliegt. Dr. Lewin hat einen Weg gefunden, dieses Problem zu lösen, indem sie den Artec Space Spider verwendet, um eine ästhetisch ansprechendere Symmetrie zu erreichen: „Ich habe eine Möglichkeit entwickelt, das Ohr vorübergehend weiter hinten zu halten. Dann scanne ich das Ohr und führe mit Space Spider und in Zusammenarbeit mit den Spezialisten von Poriferous eine, wie ich es nenne, ‚virtuelle Otoplastik‘ durch. Es ist erstaunlich, denn wenn ich jetzt das regulär entwickelte Ohr des Kindes scannen kann, benutze ich diesen Scan nicht nur, um das neue Ohr zu erstellen, sondern auch, um das gesunde Ohr chirurgisch so anzupassen, dass es perfekt zu dem neuen, implantierten Ohr passt.“

Quelle: Mitteilung medizin&technik vom 13.06.2021