Die Liste der Superkräfte von Fledermäusen ist lang: Sie sehen mit ihren Ohren, nutzen Ultraschall um sich auch in der Dunkelheit zu orientieren und sind die einzigen Säugetiere die fliegen können. Weil ihre Zellen es schaffen den Alterungsprozess zu verlangsamen, werden sie sehr alt. Sie erkranken kaum an Krebs und überleben Infektionskrankheiten, die für andere Säugetiere tödlich sind.
Kein Wunder also, dass sich die Forschung mit den einzigartigen Fähigkeiten der Fledermäuse beschäftigt, denn schließlich können die Erkenntnisse auch für den Menschen und die Humanmedizin von großer Bedeutung sein. Forscher der Max-Planck-Gesellschaft haben erstmals das Erbgut der Fledermäuse nahezu entschlüsselt. Im Interview erklärt Dr. Michael Hiller, damaliger Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und jetzt Professor am Senckenberg in Frankfurt am Main, wie diese Anpassung möglich ist und was wir im Bezug auf Covid-19 lernen können.
Herr Dr. Hiller, lassen Sie uns über die Superkräfte der Fledermäuse sprechen und mit dem verlangsamten Alterungsprozess beginnen: In Menschenjahren werden Fledermäuse fast 250 Jahre alt?
Man muss Alter, also die Lebensspanne, immer auf das Körpergewicht beziehen, weil große Tiere generell länger brauchen um fortpflanzungsbereit zu sein. An der Stelle korreliert Lebensspanne durch die Bank mit Körpergröße und Körpergewicht. Fledermäuse werden im Durchschnitt dreimal so alt wie andere Säugetiere, die ein vergleichbares Körpergewicht haben. Einige der über 1300 Arten treiben das Altern auf die Spitze: Der Rekordhalter ist wohl die Große Bartfledermaus (Myotis brandtii), die mit 10-20 g Körpergewicht bis zu 41 Jahre alt werden können. Individuen der Spezies Großes Mauseohr (Myotis myotis), die wir in unserem Forschungsprojekt segmentiert haben, können bis zu 37 Jahre alt werden. Von den neunzehn Säugetieren, die relativ zum Körpergewicht älter werden als der Mensch, ist eines der Nacktmull und alle anderen achtzehn sind Fledermäuse. Das zeigt, dass Fledermäuse im Punkto gesundes Altern innerhalb der Gruppe der Säugetiere schon sehr einzigartig sind.
Eine zweite Superkraft ist die Virentoleranz der Fledermäuse. Wie schaffen sie es, nicht ernsthaft zu erkranken?
Es ist bekannt, dass diverse Fledermausarten mit einer ganzen Reihe von Viren leben können. Sie bilden ein sogenanntes Virenreservoir, in dem sich Krankheitserreger sammeln und vermehren, die für Menschen und andere Tiere tödlich sind - beispielsweise diverse Corona-Viren, Tollwut oder Ebola. Anscheinend haben Fledermäuse ein spezielles Immunsystem, das ihnen erlaubt mit Viren zu leben, ohne ernsthaft zu erkranken und starke Krankheitssymptome zu zeigen. In dem internationalen Projekt Bat1K wollen wir hochqualitative Genome von allen Fledermäusen erstellen und die Frage beantworten, welche genetischen Änderungen oder Genregulierungen für solche Merkmale wie Virentoleranz und gesundes Altern bei Fledermäusen eine Rolle spielen.
Wie kann man die genetischen Änderungen nachweisen?
Durch einen Vergleich der DNA von Fledermausarten die sehr alt werden, mit der von normal alternden. Doch ein Genom, also die Gesamtheit der DNA, kann nicht in einem Stück sequenziert werden. Das kann man sich wie ein Buch vorstellen: Man kann die DNA nicht von vorne bis hinten einfach durchlesen. Sondern das Buch ist in viele Puzzleteile gerissen und man muss diese kurzen Stücke dann wieder zusammensetzen. Zum Glück gibt es jetzt technologische Fortschritte die es erlauben, wesentlich größere Puzzleteile zu sequenzieren. Denn ein 1000-Teile Puzzle ist wesentlich schwieriger zu lösen, als ein Puzzle aus 20 Teilen. Dadurch waren wir jetzt in der Lage, für sechs Spezies sehr hochqualitative, sehr gut zusammengesetzte und sehr vollständige Genome zu erstellen.
Welche Erkenntnisse konnten sie gewinnen?
Zum einen konnten wir fossile Virensequenzen in der DNA der Fledermäuse nachweisen. Viren vermehren sich in den Zellen, und ab und zu wird das Virengenom, also die genetische Information des Virus, in die DNA-Sequenz des Wirtes eingebaut. Unter gewissen Umständen kann das in einer Population fixiert werden. Wenn ich also ein Individuum sequenziere, kann man im Genom zum Teil integrierte Stücke von Viren finden. Um wieder auf das Buchbeispiel zurückzukommen: Beim Zusammensetzen des Buches kann man auf Seite fünfzig ein Stück finden, das eigentlich nicht in dieses Buch gehört. Die von einem Virus stammende Sequenz wurde im Laufe der Evolution dort eingesetzt. Von solchen fossilen Virensequenzen haben wir eine grosse Bandbreite in der DNA der Fledermäuse gefunden. Von einigen Viren war bisher nicht bekannt, dass sie überhaupt Säugetiere infizieren können. Wie eine Art molekulares Gedächtnis, das uns zeigt, dass Fledermäuse vermutlich schon über längere, evolutionäre Zeiträume mit diversen Viren leben.
Wie schaffen es die Fledermäuse mit solchen Viren zurechtzukommen?
Das Thema wird in der Forschung stark diskutiert. Es gibt Hinweise, dass das Immunsystem der Fledermäuse zwar mit einer starken Immunantwort auf eindringende Erreger reagiert und das Immunsystem wie auch beim Menschen versucht, befallene Zellen zu zerstören. Doch Fledermäuse sind wahrscheinlich in der Lage, diese Entzündungsantwort besser zu kontrollieren und runterzufahren. Denn reagiert das Immunsystem hyperaktiv, wie es zum Beispiel auch bei Covid-19 der Fall zu sein scheint, kann das tödlich enden. Dann wird nämlich zu viel Gewebe und damit zu viel vom Organ zerstört, was irgendwann die Lebensfähigkeit beeinträchtigt.
Genau diesen Prozess können die Fledermäuse kontrollieren?
Wie genau sie das schaffen, wissen wir noch nicht. Durch die von uns durchgeführte, vergleichenden Genomanalyse haben wir Hinweise gefunden, die ich für sehr vielversprechend halte: Gene, die eine Immunantwort potenzieren, sind bei Fledermäusen verloren gegangen. Dagegen wurden Gene mit antiviraler Funktion vervielfältigt. Die für einen wichtigen Immunpathway zuständigen Gene haben wichtige Änderungen in der Proteinsequenz. Wir denken, dass Aminosäureaustausche vermutlich die Funktion dieser Proteine ändern könnte. Wie genau, das wissen wir noch nicht, dafür braucht man experimentelle Untersuchungen. Dann können wir herausfinden, in welcher Art und Weise und ob dieser Pathway eine Rolle spielt, und in welcher Art und weise er bei Fledermäusen vielleicht anders funktioniert als bei Menschen.
Quelle: National Geographic; Hentsch, A.-K.; Mitteilung vom 02.12.2020