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Nachhaltige Konzepte für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen

22-02-2023
Susanne Pollak und Roland Nagel, Geschäftsführende der Gesundheitsforen, sprechen im Interview mit Jutta Mutschler, Chefredakteurin von Market Access & Health Policy über anstehende gesundheitspolitische Herausforderungen in den kommenden Jahren.

Das umfangreiche Portfolio der Gesundheitsforen wird seit Anfang des Jahres nun um die langjährig im Markt etablierte Fachzeitschrift „Market Access & Health Policy“ erweitert. Was war die Motivation, Ihre Geschäftsbereiche auszuweiten?

Pollak: Für mich ist das relativ klar – der Market Access & Health Policy-Teil passt von der Publikationsseite insofern sehr gut zu uns, weil wir in dem Markt heute schon analytisch unterwegs sind und wir mit vielen Politikthemen zu tun haben. Die verschiedenen Bereiche ergänzen sich perfekt.

Nagel: Ich glaube, dass sich daraus Synergien ergeben und wir spannende neue Themen generieren können, mit denen wir auch aktiv einen Beitrag leisten können, um das Gesundheitssystem zukunftsfähig weiterentwickeln zu können.

Das Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen drängt. Was kann Ihrer Einschätzung nach Digitalisierung in den einzelnen Bereichen des Gesundheitssystems erreichen? Welche Potenziale sehen Sie?

Nagel: Digitalisierung ist für mich als Informatiker letztendlich nichts anderes als ein Begriff für den technischen Fortschritt. Den digitalen technischen Fortschritt im Gesundheitswesen beobachte und begleite ich seit mehr als 35 Jahren. Mein Fazit wäre kurz zusammengefasst: Wir machen zwar Fortschritte, aber diese Fortschritte sind nicht riesig. Sie sind größer je höher der Organisationsgrad ist. Wenn ich mir beispielsweise eine Krankenkasse von innen anschaue, dann hat sich im Bereich Digitalisierung sehr viel getan. Wenn ich dieses Thema aber intersektoral betrachte und analysiere, dann kann ich über die Jahre hinweg nur sehr kleine Entwicklungsschritte feststellen.

Was sind die Ursachen und Gründe für dieses langsame Fortschreiten?

Nagel: Als möglichen Grund stellt sich als erstes die Frage: Wollen wir die digitalen Gesundheitslösungen marktwirtschaftlich oder staatlich organisieren. Wenn wir die Lösung staatlich aufstellen, dann müssen die Konzepte und die Budgets für die Umsetzung zusammenkommen. Ein Erkenntnisproblem haben wir aber im System schon lange nicht mehr, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem. Exemplarisch hat Roland Berger zur Telematik im Gesundheitswesen im August 1997 – also vor 25 Jahren – das erste Gutachten für die Ministerien entwickelt. Wenn wir schauen, wo wir nach 25 Jahren stehen, kann man nur festhalten: Der Fortschritt auf diesem Gebiet ist gerade in Deutschland eine Schnecke. Für mich wirkt es manchmal so, als würde man sagen: Wir planen jetzt Gesundheits-Autobahnen, aber das Geld für Asphalt und Beton haben wir nicht. Das funktioniert einfach nicht. Die Alternative wäre, dass man auf einen stärkeren Wettbewerb setzt, sprich die bessere Leistung setzt sich durch. Konkurrierende Produkte positionieren sich in einem Wettbewerbermarkt. Für das Produkt, das sich schließlich in diesem Markt durchsetzt, muss ein Preis gefunden werden. Wie schwierig das tatsächlich ist, sehen wir derzeit im Bereich der Digitalen Gesundheitsanwendungen. Doch egal, welcher Weg letztlich eingeschlagen wird, eine Sache ist klar: Wenn wir in diesem Tempo weitermachen wie bisher, werden die Hyperscaler das Business übernehmen.

Welche Themen würden Sie – mit Blick auf Ihre Expertise, den Austausch mit Ihren Kunden – auf die gesundheitspolitische Agenda 2023 setzen?

Pollak: Finanzierung ist und bleibt ein wichtiges Thema. Der zweite Punkt ist Pflege. Ich glaube, dass wir immer erst etwas machen, wenn es brennt. Das kann man am Beispiel der Arzneimittel sehen. Jetzt gibt es gerade Versorgungsengpässe beim Fiebersaft für Kinder. Ich glaube, dass Versorgungsengpässe auch im Bereich der Pflege drohen. Es ist absehbar, dass auch die Babyboomer-Generation in einigen Jahren auf Pflegeleistungen angewiesen sein wird. Darauf müssen wir uns ganz anders vorbereiten, als wir das heute tun.

Das ist wieder so eine Situation, die nicht überraschend in einigen Jahren eintreten wird, sondern bereits heute mit Zahlen und Fakten prognostizierbar ist.

Pollak: Genau – es ist planbar. Man könnte jetzt sagen: Wir brauchen in Zukunft so und so viele Menschen in der Pflege und müssen uns überlegen, wie wir genügend Menschen in diese Berufe bekommen. Erst wenn es brennt, kommen wir mit der Gießkanne und versuchen, das Feuer zu löschen. Das ist jedoch kein langfristiger Ansatz. Ein zentraler Punkt ist, dass wir die Sozialsysteme nachhaltig – gerade auch in der Frage der Finanzierung – aufstellen müssen. In Summe bin ich aber auch überzeugt davon, dass unser Gesundheitssystem bei allen Kritikpunkten sehr gut ist. Es gibt an einigen Stellen enormen Nachholbedarf, aber das System hat sich in den vergangenen Jahren als resilient erwiesen. Ich habe das Gefühl, dass die Akteure im Markt durchaus erkennen, dass nachhaltige Reformen angegangen werden müssen.

Nagel: Wie erwähnt, gibt es in vielen Bereichen, was die zukünftige Entwicklung des Gesundheitswesens betrifft, Optimierungspotenzial. Allerdings bin ich kein Fan von Weltuntergangsszenarien – in dem Fall würde ich es, obwohl ich Westfale bin, mit dem Motto der Rheinländer halten: Et hätt noch immer jot jejange. Übersetzt für alle Nicht-Rheinländer bedeutet das: „Es ist noch immer alles gut gegangen“. Wir sollten die Baustellen des Gesundheitswesens nicht einfach nur schwarzmalend kritisieren, sondern vielmehr in den Fokus rücken, wie wir die Herausforderungen und Probleme konstruktiv lösen. Und welchen Beitrag die einzelnen Marktteilnehmer leisten können. Der Druck, der auf dem System lastet, ist sehr groß. Das ist jetzt ein idealer Zeitpunkt, eine Allianz unter den Akteuren zu schmieden, um gemeinsam das Gesundheitssystem der Zukunft zu gestalten.

News von "Gesundheitsforen" vom 22.02.2023