News

Verjüngungskur fürs Gehirn: Zusätzliche Stammzellen verbessern Lernen und Gedächtnis von alten Mäusen

15.01.2020
Ein jeder wird es irgendwann erleben: Je älter wir werden, desto schwieriger wird es für unser Gehirn, neue Dinge zu lernen und sich an sie zu erinnern. Die Gründe hinter diesen Beeinträchtigungen sind oft unklar. Nun haben Wissenschaftler des Zentrums für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) untersucht, ob eine Erhöhung der Anzahl von Hirnstammzellen helfen würde, kognitive Funktionen wie Lernen und Gedächtnis wiederzuerlangen, die im Laufe des Alterns verloren gehen.

Die Forschungsgruppe von Prof. Federico Calegari hat dazu eine im eigenen Labor entwickelte Methode verwendet: Im Gehirn alter Mäuse stimulierten die Wissenschaftler den dort vorhandenen kleinen Pool neuronaler Stammzellen so, dass sich die Menge dieser Stammzellen und damit auch die Anzahl der aus ihnen erzeugten Gehirnzellen erhöhte. Das Team beobachtete, dass diese zusätzlichen Neuronen überleben und sogar neue Kontakte zu benachbarten Zellen knüpfen können. In einem nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler eine wichtige Aufgabe des Gehirns, die ähnlich wie bei der Maus auch beim Menschen im Laufe des Alterns verloren geht: die Navigationsfähigkeit.

Es ist vom Alter abhängig, auf welche Art man sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden lernt. In der Jugend erstellt das Gehirn eine kognitive Landkarte und erinnert sich an diese. Diese Fähigkeit schwindet im Alter – statt mit der Landkarte im Kopf navigieren ältere Individuen anhand fester Abfolgen von Richtungswechseln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die zuverlässigere Strategie von beiden ist jedoch die kognitive Landkarte, sprich: Die Strategie des jungen Gehirns.

Würde eine erhöhte Zahl von Gehirnzellen ausreichen, um den Alterungsprozess zu verlangsamen und damit der nachlassenden Navigationsfähigkeit entgegenzuwirken? Die Wissenschaftler aus den Gruppen von Prof. Calegari (CRTD), Prof. Gerd Kempermann (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen DZNE / CRTD) und Dr. Kentaroh Takagaki (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) haben die Antwort gefunden und ihre Erkenntnisse in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Ihre Antwort lautet „Ja“: Alte Mäuse mit einem Plus an Stamm- und Gehirnzellen konnten die zuvor verlorene Fähigkeit, eine kognitive Landkarte zu erstellen, zurückgewinnen und erinnerten sich länger an die Details. Dadurch wurden sie den jungen Mäusen ähnlich. Eine weitere Erkenntnis war, dass die Stimulation der Hirnstammzellen bei jungen Mäusen dafür sorgt, dass ihre Gedächtnisleistung über den gesamten Verlauf des Lebens vergleichsweise gut erhalten bleibt und kognitive Beeinträchtigungen verzögert auftreten.

„In der Jugend ist ein Hirnareal, der Hippocampus, entscheidend für das Erinnern an Orte und Ereignisse. Dort werden auch die kognitiven Landkarten neuer Umgebungen erstellt. Im Alter werden andere Strukturen genutzt, die eher auf Gewohnheiten beruhen. Es ist faszinierend zu sehen, dass das Hinzufügen von Neuronen im Hippocampus es den alten Mäusen erlaubt, die für junge Tiere typischen Strategien zu verwenden. Wir beobachteten nicht nur, wie schnell diese lernten, sondern auch den veränderten, verjüngten Lernprozess", erklärt Gabriel Berdugo-Vega, Erstautor der Studie.

„Auch der Mensch hat Stammzellen im Gehirn, und diese Stammzellen sind dafür bekannt, dass ihre Zahl im Laufe des Lebens stark abnimmt. Für unsere schnell alternde Gesellschaft ist es entscheidend, die Ursachen für altersbedingte kognitive Defizite zu erkennen und zu beheben. Unsere Studie zeigt, dass wir diesen Beeinträchtigungen mithilfe des körpereigenen Potenzials der Gehirnzellen begegnen und wir so das Gehirn quasi verjüngen können. Als der ‚Senior‘-Autor dieser Studie betrifft mich das Thema ganz persönlich…", sagt Prof. Federico Calegari.

Die Forschungsgruppe von Prof. Federico Calegari konzentriert sich auf die Erforschung von Nervenzellen bei Säugetieren im Kontext von Entwicklung, Differenzierung und Auswirkungen auf Gehirnfunktionen. Am CRTD der TU Dresden widmen sich Spitzenforscher aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten. Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaftler mit Ärzten, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungsbiologie, Genom-Editing und Geweberegeneration, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen.

Diese Studie wurde finanziert durch die TU Dresden / CRTD mit Mitteln der Exzellenzinitiative und der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie durch einen Grant der Europäischen Union aus dem Programm H2020. Die Studie wurde unterstützt durch die Fakultät für Naturwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, die Dresden International Graduate School for Biomedicine and Bioengineering (DIGS-BB) sowie das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Dresden.

Quelle: Pressemitteilung der TU Dresden vom 09.01.2020